Feministisch, zugewandt, mutig und aufmüpfig

– fortführen, was Sigrid Metz-Göckel begonnen hat. So lautete das Versprechen, das sich die Teilnehmenden auf der Gedenkfeier für unsere Stifterin Sigrid Metz-Göckel gaben. Die Veranstaltung fand am Freitag, den 4. April 2025, im Dortmunder Rathaus statt.

Menschen aus verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen verabschiedeten sich von ihr und überlegten, wie ihre Ideen hin zu einer feministisch konturierten geschlechtergerechten Gesellschaft weitergetragen werden können – hatte Sigrid Metz-Göckel doch allen als Motto mit auf den Weg gegeben: „Die Gesellschaft braucht eine konstruktive Aufmüpfigkeit, die stärker ist als Wut.“ Auch dem Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal, der die Veranstaltung eröffnete, war Sigrid Metz-Göckel als Frauen- und Geschlechterforscherin seit seinem Studium ein Begriff. Später kam es zu einem engeren Austausch, als es um die Förderung des Dortmunder Stiftungswesens ging, das Sigrid Metz-Göckel seit 2004 mit ihrer eigenen Stiftung Aufmüpfige Frauen bereicherte.

Maresa Feldmann, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund, sprach für den Vorstand, das Kuratorium und den Förderverein dieser Stiftung: Selbstverständlich ginge es bei dieser Gedenkfeier darum, das Wirken von Sigrid Metz-Göckel zu würdigen, doch weniger im stillen Rückblick denn als Aufruf, das fortzusetzen, was sie begonnen habe – klar, klug, bestimmt und stets freundlich zugewandt. Angesichts gegenwärtiger Angriffe gegen Geschlechtergleichheit, Gleichstellungspolitik, Wissenschaftsfreiheit müsse ihre Aufmüpfigkeit zu einer politischen Richtschnur für unser feministisches Selbstbewusstsein, kritisches Denken und gesellschaftliches Handeln werden. In Vertretung des ersten Vorstands der Stiftung Aufmüpfige Frauen ließ Prof. Dr. Felicitas Sagebiel die Anfänge der Stiftung noch einmal lebendig werden: Oft ging es bei den Vorstandstreffen hoch her, es wurde – wie in der autonomen Frauenbewegung üblich – laut und lebhaft gestritten, doch zugleich wurden auch Lösungen entwickelt, gern genussvoll mit Speis und Trank.

Sigrid Metz-Göckel, 1949 im oberschlesischen Klein Peterwitz geboren, kam nach einem Studium in Frankfurt a.M. und Gießen 1976 an die heutige TU Dortmund. Bis 2005 war sie Leiterin des Hochschuldidaktischen Zentrums und initiierte dort die hochschulpolitische Frauenbewegung in Nordrhein-Westfalen. Von dieser Frauenbewegung, die zum heutigen, vom Wissenschaftsrat anerkannten Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW führte, berichtete Prof. Dr. Anne Schlüter, Wegbegleiterin seit der ersten Stunde. Prof. Dr. Ursula Müller lernte Sigrid Metz-Göckel auf einer Gartenparty kennen, eine körperlich zart wirkende junge Frau im weißen Hosenanzug und mit sanfter Stimme, noch dazu blond. Sie war mit dem Aufbau eines neuen Forschungsbereichs betraut, zu einem Zeitpunkt, als der Frauenanteil an den Professuren unter 5% lag, was die Einzigartigkeit und Unwahrscheinlichkeit dieser Erscheinung vorstellbar macht. Beide erinnerten sie als Pionierin der Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland, als mutige Kämpferin in der Wissenschaftspolitik und für Frauen in der Wissenschaft, als geschätzte Kollegin und stärkende Freundin in der zutiefst patriarchalen Institution Universität.

Heutige mediale Möglichkeiten machen es möglich: Eine Videoeinspielung über zwei große Bildschirme am Bühnenrand ließ Sigrid Metz-Göckel wieder unter uns sein, mit ihrer Gestik, Mimik, mit ihrer Stimme und der Art zu formulieren. Sie berichtete pointiert und emphatisch von den politisch-kritischen Anfängen der Wissenschafts- und Hochschulforschung an der TU Dortmund, und wie diese mit Fragen nach Frauen in der Wissenschaft verknüpft waren (https://www.wihoforschung.de/wihoforschung/en/background/60-years-of-research/60-years-of-research_node.html). Angesichts der seit Covid 19 zunehmend eingeübten Ausrichtung unserer Sinne auf Online-Kommunikation eröffnete dieser Einspieler einen ganz eigenen Raum voller Authentizität und Nahbarkeit.

Im Anschluss gab es eine Podiumsdiskussion, die von der Münsteraner Moderatorin Andrea Blome geleitet wurde: Auf der Bühne saß Regina Hunschock, eine ehemalige Studentin, die zusammenfasste: „Etwas Besseres, als Sigrid kennenzulernen, konnte mir nicht passieren. Das hat mein Leben verändert.“ Marion Kamphans, langjährige Mitarbeiterin von Sigrid Metz-Göckel und heute Professorin an der Hochschule RheinMain, gab Einblicke in die spezifische Förderung, die ihr zuteil wurde. Mit Kristina Hänel und Dr. Sławomira Walczewska reflektierten zwei Preisträgerinnen der Stiftung Aufmüpfige Frauen ihre jeweilige Aufmüpfigkeit: So die Ärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel, die 2022 zu den Preisträgerinnen gehörte: Sie kämpfte bis zum Verfassungsgericht gegen den §219a und setzte sich in der Kommission der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zum Schwangerschaftsabbruch für eine fachübergreifende Versorgung von Frauen ein, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen. Die polnische Philosophin und Aktivistin Sławomira Walczewska wurde 2008 als polnische Feministin geehrt. Sie blieb seitdem eng mit Sigrid Metz-Göckel verbunden und erinnerte das spezifische Verhältnis, dass diese zu Polen pflegte: In Oberschlesien geboren hatte Sigrid als Kind noch Polnisch gesprochen. Später begann sie, es wieder zu lernen. Es gab in ihrem Denken von Deutschland und Polen, so Walczewska, keine nationalstaatlichen Grenzen, sondern nur fließende Übergänge.

Bei der Gedenkfeier wurden die posthum im Barbara Budrich Verlag erschienenen Lebenserinnerungen: „Wie ich lernte, aufmüpfig zu sein. Lebenserinnerungen einer Pionierin der Frauen- und Geschlechterforschung“ vorgestellt. Sigrid Metz-Göckel hatte das Manuskript noch aus dem Hospiz heraus freigegeben.

Die musikalische Gestaltung von Freya Deiting an der Geige und Sandra Wilhelms an der Konzertgitarre schufen eine dichte Atmosphäre: So konnten die Teilnehmenden fast schon heiter und zukunftsgewandt ein kollektives Versprechen formulieren: fortführen, was Sigrid Metz-Göckel begonnen hat – feministisch, zugewandt, mutig – und aufmüpfig.

Wir trauern um die Stifterin Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel

Prof. Sigrid Metz-Göckel, eine der Mitbegründerinnen der Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland, ist nach kurzer schwerer Krankheit am
11. Februar 2025 verstorben. Die 2005 emeritierte Dortmunder Soziologin wurde 84 Jahre alt. Zu den vielen herausragenden Arbeiten der Bundesverdienstkreuzträgerin gehört unter anderem die Evaluation der Internationalen Frauen Universität (ifu) zur Expo 2000, bei der 800 hochkarätige Wissenschaftlerinnen aus 114 Ländern multidisziplinär forschten. Für Prof. Ruth E. Hagengruber vom Deutschen Akademikerinnen-Bund war sie eine „Bildungsinstitution der Frauenforschung und der Frauengeschichte“.

„Wenn Sie Professorin sind, dann müssen Sie nicht mehr machen, was die anderen sagen, dann können Sie selbst bestimmen.“ Die anderen, das waren damals vor allem Männer, als Sigrid Metz-Göckel, die Soziologie in Frankfurt studiert hatte, Mitte der 1970-er Jahre einen Ruf als Professorin an die noch ganz neue Uni Dortmund erhielt. Dort baute sie nicht nur das Zentrum für Hochschuldidaktik auf, sondern prägte mit ihren Studien die Frauen- und Geschlechterforschung der Republik, und das an einer sehr technisch geprägten Universität, als eine von nur drei Hochschullehrerinnen unter lauter Hochschullehrern.

Den motivierenden Satz zur Selbstbestimmung hat Metz-Göckel von ihrer Doktormutter Prof. Dr. Helge Pross mit auf den Weg bekommen und er half ihr, in der Männerdomäne Fuß zu fassen und trotz aller Widrigkeiten nicht aufzugeben. Er war ihr ein Ansporn und seitdem hat sie und hat sich Etliches verbessert. Sigrid Metz-Göckel, die als 1940 geborenes „schlesisches Flüchtlingskind“ wusste, was echte Entbehrungen sind, hatte ihr Leben daher stets als Geschenk gedeutet, wie sie immer wieder betonte. Ein Geschenk, von dem sie etwas zurückgeben wollte – an Frauen, die ihrerseits Widerstände überwunden, Neues geschaffen und Wege geebnet haben für andere Frauen. Auf dass die nahe oder fernere Welt etwas besser, weil gleichberechtigter wird. Dabei hatte sie auch immer ein gesamtgesellschaftliches Vorankommen im Auge. Sigrid Metz-Göckels Vehikel fürs Zurückgeben und für ihr Engagement war nach ihrer Emeritierung nicht mehr nur die Geschlechterwissenschaft, sondern eine Stiftung – ihre Stiftung Aufmüpfige Frauen.

Die Vision der Stiftung Aufmüpfige Frauen sei, so die Stifterin, eine geschlechtergerechte Gesellschaft. Mit der Emanzipation der Frauen gingen und gehen Lebenserfahrungen einher, die mit Gewalt, Diskriminierung, Hierarchisierung und Entmündigung sowie unentgeltlicher Arbeit verbunden sind, aber auch mit Erfahrungen, dass es lohnenswert ist, sich zusammenzuschließen und widerständige Alternativen zu entwickeln. Auf diese Weise hätten Diskriminierungen von Frauen in unserer Gesellschaft in vielerlei Hinsicht abgebaut werden können, allerdings bleibe es ein weiter Weg, bis eine Gleichstellung für alle Geschlechter erreicht ist.

„Die Gesellschaft braucht eine konstruktive Aufmüpfigkeit, die stärker ist als Wut“, betonte denn auch die Stiftungsgründerin anlässlich des 20-jährigen Stiftungsjubiläums 2024. „Die Preisverleihungen der Stiftung drücken Wertschätzung und Anerkennung für Frauen und Mädchen aus, die aus ‚der Rolle fallen‘ und etwas Innovatives getan haben, das zur Verbesserung der Situation von Frauen beiträgt und gut für das Zusammenleben der Menschen ist.“ Alle 25 bisherigen Preisträgerinnen der Stiftung seien auf ihre Weise bahnbrechend und hätten den Horizont des Möglichen erweitert.

„Deswegen ist es sicher sehr in Sigrid Metz-Göckels Sinn, wenn das Gedenken an sie weniger ein klassischer Nachruf sein sollte, sondern vielmehr ein Aufruf, ihr Engagement weiterzuführen“, betonen die Stiftungsgremien – Vorstand, Kuratorium und Förderverein. „Selbst wenn ihre wache, aktive und ebenso kompetente wie zugewandte Menschlichkeit uns allen und auch der Stiftungsarbeit immer sehr fehlen wird, so werden wir unser Möglichstes tun, um ihr Werk weiterzuentwickeln. Dabei wissen wir viele an unserer Seite.“ Jede und jeder sei eingeladen, die Arbeit der Stiftung zu unterstützen, ob durch Spenden an die Stiftung oder durch eine Mitgliedschaft im Förderverein. Denn Initiativen, die für die Fortentwicklung einer aufgeklärten und gleichberechtigten Demokratie stehen, sind gerade in Zeiten „gesellschaftlichen Roll-Backs“ wichtiger denn je.

Vorstand, Kuratorium und Förderverein der Stiftung Aufmüpfige Frauen

Preisverleihung 2024: 13 Mal Aufmüpfigkeit

Am 07. Juni 2024 verlieh die Stiftung Aufmüpfige Frauen die Auszeichnung „Aufmüpfige Frau des Jahres“ an Marie von Kuck und Carola Wilke. Der Förderverein der Stiftung zeichnete mit Rita Kronauer zusätzlich eine eigene „Aufmüpfige Frau“ aus. Zudem vergab die Pro Filiis Stiftung ihrem Stiftungszweck entsprechend einen Preis an die Courage-Schüler*innengruppe des Phönix-Gymnasiums in Dortmund-Hörde: Sie steht für die Zukunft der Aufmüpfigkeit. Die Preisverleihung fand in Kooperation mit dem Gleichstellungsbüro der Stadt Dortmund in der Ev. Stadtkirche Sankt Petri Dortmund statt.

Die Preise gingen an:

Marie von Kuck zusammen mit Carola Wilke: Die Journalistin Marie von Kuck bearbeitet in ihren Radio-Features tabuisierte gesellschaftliche Themen. So hat sie  in ihrem mehrfach preisgekrönten Beitrag „Ihre Angst spielt keine Rolle“ auf die oft traumatisierenden ausweglosen Situationen von Frauen in Sorgerechtsprozessen hingewiesen. Carola Wilke stand ihr dabei mit ihrer Fach-Expertise zur Seite. Als Sozialarbeiterin und Verfahrensbeiständin unterstützt sie Frauen vor Familiengerichten.

Rita Kronauer erhielt den Preis des Fördervereins der Stiftung Aufmüpfige Frauen für ihre feministische Erinnerungsarbeit, die sie als politische Aktion versteht: Seit 1995 ist Rita Kronauer Kopf, Herz und Hand von ausZeiten, dem feministischen Archiv für Frauen, Lesben, Mädchen in Bochum.

Die Pro Filiis Stiftung zur Förderung von Kindern und Jugendlichen zeichnete die Courage-Schüler*innengruppe aus Dortmund-Hörde aus, weil sie sich dafür einsetzt, das Thema Menstruation aus dem Tabubereich zu holen und Aufklärung für alle zu leisten. Sie unterstützt Schülerinnen dabei, wegen ihrer Menstruation Heimlichtuerei und Scham zu überwinden.

20 Jahre Stiftung Aufmüpfige Frauen

Am 7. Juni 2024 wird in der Ev. Stadtkirche Sankt Petri in Dortmund nicht nur der Preis „Aufmüpfige Frau 2024“ verliehen: Die Stiftung feiert auch ihr 20-jähriges Jubiläum. Alles begann mit der Idee von Sigrid Metz-Göckel, Frauen zu fördern, die etwas wagen, die Vorbild für andere sein können, indem sie Mut machen, ihrer persönlichen Kraft zu vertrauen. Die Grundvoraussetzung für diese Haltung war für sie „Aufmüpfigkeit“. Damit verstand sie ein widerständiges und ein politisches Verhalten. Es kann sich provokativ und laut, aber auch leise und nachdenklich äußern: Aufmüpfigkeit zeigt Mut und Zivilcourage an.

„Ich bin leidenschaftlich gern Wissenschaftlerin, zugleich eine Grenzgängerin zwischen Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. Durch meine Aktivitäten in der neuen Frauenbewegung, insbesondere in der Frauenhochschulbewegung habe ich viel gelernt, z.B. Politik mitzugestalten und dabei habe ich viele Ängste überwunden. Da ich in meiner Kindheit und Jugend viel Unterstützung und Solidarität von anderen erfahren habe, versuche ich mit der Stiftung etwas davon an die Frauen und die Gesellschaft zurückzugeben. Daher habe ich 2004 mit angespartem Privatkapital und weiteren Spenden die ‚Stiftung Aufmüpfige Frauen‘ gegründet,“ erklärte Sigrid Metz-Göckel die Idee, eine Stiftung namens „Aufmüpfige Frauen“ zu gründen.