Kristina Hänel | Helga Seyler | Sylvia Groth

Kristina Hänel | Helga Seyler | Sylvia Groth

Kristina Hänel | Helga Seyler | Sylvia Groth
Kristina Hänel | Helga Seyler | Sylvia Groth

 

Preisträgerinnen im Team 2022

Alle drei Frauen waren 2021 Mitglieder der Kommission zur Erarbeitung einer Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG).

Sie haben in kontroversen Debatten dafür gekämpft, die Versorgung für Frauen substanziell zu verbessern, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen wollen. Die Kommission wurde von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf Druck der pro choice Bewegung initiiert.

Kristina Hänel

Fachärztin für Allgemeinmedizin

Eine aufmüpfige Frau par excelence
Nur wer sich wehrt, erreicht etwas

Kristina Hänel | Foto: Andreas Reeg
Kristina Hänel | Foto: Andreas Reeg

Kristina Hänel berät in ihrer Arzt-Praxis in Gießen zu Frauengesundheit, Sexualität, Familienplanung, Schwangerschaft, Geburt und Schwangerschaftsabbruch und führt Schwangerschaftsabbrüche durch. Darüber hat sie auf ihrer Homepage informiert und wurde wegen einer Rechtsverletzung nach §219a StGB angeklagt und verurteilt. Ihr öffentlicher und juristischer Widerstand gegen ihre Verurteilung machte sie überregional bekannt.

Wegen des Verdachts der Werbung auf ihrer Homepage zum Abbruch der Schwangerschaft gab es drei Ermittlungsverfahren gegen sie. Sie wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und musste die Informationen zu Ablauf und Methoden des Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Praxis von ihrer Webseite entfernen.

Mutiger Rechtsstreit bis zum Verfassungsgericht

Kristina Hänel legte Revision gegen das Urteil ein. Das Oberlandesgericht Frankfurt hob die Verurteilung im Juli 2019 auf und wies den Fall an das Landgericht Gießen zurück. Das Landgericht Gießen verurteilte sie im Dezember 2019 erneut zu einer Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen. Im Januar 2021 verwarf das Oberlandesgericht ihre Revision, woraufhin sie Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegte.

Bundesweit hat die Ablehnung der Revision eine Welle der Solidarität ausgelöst. Unter dem #WirInformierenWeiter stellten Vereine, Politiker*innen und Einzelpersonen die Informationsbroschüre von Kristina Hänel online und erzeugten so großen politischen Druck.

Im Juni 2022 beschloss der Deutsche Bundestag im Beisein von Kristina Hänel die Abschaffung des §219a StGB und die Rehabilitierung aller wegen des Strafrechtsparagrafen seit 3. Oktober 1990 verurteilten Mediziner*innen.

Zur Person von Kristina Hänel

Kristina Hänel, geb. 1956 in Kassel, stammt aus einer Arztfamilie und hat seit 2001 eine eigene Praxis in Gießen. Sie hat zwei erwachsene Kinder, die sie noch im Studium bekommen hat. Sie ist

  • Gründungsmitglied von Wildwasser Gießen,
  • Mitglied im Verein gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen und Frauen.
  • Mehrere Jahre hatte sie einen Lehrauftrag an der Universität Gießen zu sexueller Traumatisierung im Kindesalter.
  • Sie engagiert sich ehrenamtlich
  • im Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin,
  • Psychotherapie und Gesellschaft e.V.,
  • bei Pro Familia e.V.,
  • in der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung.

Kristina Hänel ist Marathonläuferin und startet international für die Altersgruppennationalmannschaft der Deutschen Triathlon Union. In einem Interview sagte sie, ‚als Marathonläuferin gibt man nicht auf, auch wenn man schon am Ende zu sein glaubt.‘

Sie ist Autorin des Buches „Das Politische ist persönlich“. Tagebuch einer „Abtreibungsärztin“. Argument Verlag, Hamburg 2019. Kristina Hänel ist bereits mehrfach mit Preisen bedacht und inzwischen bundesweit sehr bekannt. Gemeinsam mit Helga Seyler und Sylvia Groth wird Kristina Hänel ausgezeichnet, da die drei Frauen gemeinsam in der Bundesgesundheitskommission zum Schwangerschaftsabbruch, gegen Widerstände für das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen eingesetzt haben.

Helga Seyler

Familienplanungszentrum in Hamburg
Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

Helga Seyler | Foto: Cordula Kropke
Helga Seyler | Foto: Cordula Kropke

Helga Seyler hat sich als Vertreterin von Pro Familia in der Leitlinien-Kommission zum Schwangerschaftsabbruch dafür eingesetzt, die Qualität von Schwangerschaftsabbrüchen und die Versorgung von Frauen zu verbessern. Sie hat ihre langjährigen praktischen Erfahrungen und medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisse in die Kommission eingebracht und die Leitlinie S2k maßgeblich im Sinne der Frauen beeinflusst.

Die Arbeit in der Kommission war von der polarisierten gesellschaftlichen Bewertung von Schwangerschaftsabbrüchen und entsprechend kontroversen Haltungen der Teilnehmenden geprägt.

Zusammen mit Kristina Hänel und Sylvia Groth hat Helga Seyler das Recht der Frauen verteidigt, selbst über das Austragen oder den Abbruch einer Schwangerschaft zu entscheiden und einen Abbruch unter optimalen medizinischen Bedingungen, in Würde und ohne Angst durchführen zu lassen. Alle drei Frauen haben hartnäckig dafür gekämpft, dass die Inhalte und Empfehlungen der Leitlinie die Versorgung der Schwangerschaftsabbrüche nach aktuellen Standards sicherstellen. Um das zu erreichen, haben sie einen Großteil der Texte selbst erarbeitet und die Inhalte in vielen kontroversen Debatten mit Beharrungs- wie Durchhaltevermögen und kenntnisreichen Argumentationen verteidigt. Dabei haben sie sich gegenseitig den Rücken gestärkt und sich von den zum Teil massiven Angriffen nicht einschüchtern lassen.

Zur Person von Helga Seyler

Helga Seyler, Jahrgang 1955, lebt in Hamburg. Sie ist seit 1987 Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Bis zu ihrem Ruhestand hat sie 30 Jahre im Familienplanungszentrum Hamburg gearbeitet. 14 Jahre lang hat sie dort auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, bis dieses Angebot aufgrund von politischem Druck eingestellt werden musste. Weiterer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die gynäkologische Versorgung von besonders schutzbedürftigen Frauen:

  • Geflüchteten und Frauen ohne Krankenversicherung
  • sozial benachteiligten Frauen, die auf kostengünstige Verhütung angewiesen sind
  • Frauen mit Genitalverstümmelung
  • Frauen mit Vaginismus
  • Lesbisch und bisexuell lebende Frauen.

Neben der praktischen gynäkologischen Versorgung gibt sie ihr Wissen auf vielfältige Weise weiter. Dies sind:

  • Vorträge und Seminare für Fachpersonen und Betroffene
  • Zahlreiche Fachartikel in verschiedenen Zeitschriften
  • Redaktion und Autorin der Fortbildungszeitschrift der pro familia „Familienplanungsrundbrief“ (13 Jahre lang)
  • Fachliche Beratung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) bei der Erstellung von evidenzbasierten Informationen zu Verhütung und Familienplanung
  • Mitarbeit bei der Erstellung von Leitlinien: 2015-2020 Hormonelle Verhütung, aktuell Schwangerschaftsabbruch und Nichthormonelle Verhütung

Die Wurzeln ihrer frauenärztlichen Tätigkeit sieht Helga Seyler in der feministischen Frauengesundheitsbewegung in den 1980er Jahren. Sie bezeichnet sich als Feministin und „kritische Schulmedizinerin“, für die das Wissen der evidenzbasierten Medizin einen hohen Stellenwert hat. Dabei gerät sie immer wieder zwischen die Fronten der hormonkritischen Frauengesundheitsbewegung und der oft durch Pharmainteressen beeinflussten „Schulmedizin“, wenn sie z.B. beide Seiten für irreführende Darstellungen medizinischer Fakten kritisiert.

Helga Seyler vertritt konsequent die Interessen schutzbedürftiger Frauen und orientiert sich bei der Versorgung offen und sensibel an deren sehr unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebenswelten, oft auch gegen gängige Sichtweisen.
Seit dem Ruhestand hat Helga Seyler Zeit, ihre medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisse zusammen mit den langjährigen praktischen Erfahrungen in die zeitraubende, anstrengende und komplett ehrenamtliche Mitarbeit in zwei Leitlinienkommissionen einzubringen – neben der Leitlinie Schwangerschaftsabbruch auch die Leitlinie Nichthormonelle Verhütung.

Helga Seyler ist Autorin von „Lesbische Ärztinnen. Erfahrungen und Strategien im Berufsleben.“ Mabuse-Verlag 2013

Sie engagiert sich in verschiedenen Verbänden:

  • Doctors for Choice Germany
  • AKF e.V. Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft
  • Mitgründerin von Charlotte e. V. Netzwerk lesbischer Ärztinnen
  • Netzwerk rainbow health

Sylvia Groth

Sylvia Groth | Foto: Barbara Burgstaller
Sylvia Groth | Foto: Barbara Burgstaller

Medizinsoziologin, Graz

Sylvia Groth ist als Patientinnen-Vertreterin in die Leitlinien-Kommission entsandt worden. Sie ist Mitglied im Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) und war von 2017 bis 2021 Mitglied des Vorstands. Dieser Arbeitskreis entsandte sie in die Kommission zum Schwangerschaftsabbruch.

Sylvia Groth richtete ihren Fokus darauf, europäische und internationale Standards sowie die Perspektive der Menschenrechte in die S2k Leitlinie der Kommission einzubringen und damit die Beachtung der Versorgungsbedürfnisse von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen. Ihr Ziel war es, aufzuzeigen, welche Informationserfordernisse und Bedürfnisse die unterschiedlichen Gruppen von Frauen haben, und welche aktuellen Defizite in ihrer medizinischen Versorgung vorliegen.

Sie brachte ihre langjährigen Erfahrungen in der gesundheitlichen Beratung und der Gremienarbeit in die Kommission ein. In den Auseinandersetzungen vertrat sie eine wissensbasierte Sachkenntnis und Konfliktfähigkeit, in der Überzeugung, dass Machtansprüche der Selbstbestimmung von Frauen hinderlich sind. Hilfreich war für sie die Unterstützung und konstruktive Zusammenarbeit mit Kristina Hänel und Helga Seyler.

Zur Person von Sylvia Groth

Sylvia Groth, geb. 1955 lebt in Graz, Österreich. In ihrer Arbeit geht es ihr um zwei miteinander verflochtene Aspekte:

  • Frauen in unterschiedlichen sozialen und persönlichen Lebensumständen so zu stärken, dass sie auf der Basis evidenzbasierter verständlicher Informationen die Wahl haben, ihre gesundheitlichen Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen und umzusetzen.
  • Die gesellschaftliche Lage und Versorgungsstruktur kritisch zu analysieren und gemeinsam mit anderen daran mitzuwirken, dass sowohl politisch Verantwortliche als auch Fachkräfte die Bedürfnisse und Interessen der Frauen wahrnehmen und achten. Ziel ist es, Beteiligung und Mitbestimmung von Frauen als Nutzerinnen qualitativ hochwertiger gesundheitlicher Leistungen zu steigern, um soziale Gerechtigkeit zu erreichen.

Während ihres Studiums in den USA arbeitete Sylvia Groth in Frauengesundheitsorganisationen, was sie als Feministin prägte. Sie war lange Jahre wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team des Feministischen Frauengesundheitszentrums Berlin. Danach war sie von 1995 bis 2015 Geschäftsführerin des Frauengesundheitszentrums in Graz.

Seit vielen Jahren arbeitet sie als Frauengesundheitsaktivistin und Beraterin in der gesundheitlichen Interessenvertretung von Frauen. Ihre Schwerpunkte sind Gesundheitskompetenz, Beteiligung von Patientinnen sowie sexuelle und reproduktive Rechte.

Sie war Vorsitzende des Fachbeirats Frauengesundheit des Gesundheitsfonds Steiermark 2006-2015 und Mitglied der Ethikkommission der Ärztekammer Berlin, Arbeitsausschuss Reproduktionsmedizin 1989-1995.

Zuletzt beriet sie als externe wissenschaftliche Expertin den Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e. V. Vorarlberg im ‚Projekt rund-ums-impfen.at.‘ und das Institut für Gesundheitsförderung und Prävention GmbH (IfGP) zu gesundheitskompetenter Sozialversicherung.

Sylvia Groth erhielt 2011 das Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark.

Ausgewählte Veröffentlichungen von Sylvia Groth:

  • Ingrid Mühlhauser, Sylvia Groth, Eva Waldschütz (2022): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), 16.2.2022.
  • Sylvia Groth, Felice Gallé (2021): Kompetent als Patientin und Patient. Herausgeber: Dachverband der Sozialversicherungsträger, 4.Auflage 2021
  • Österreichische Plattform für Gesundheitskompetenz (Hg.2018): Gute Gesundheitsinformation Österreich. Die 15 Qualitätskriterien. Der Weg zum Methodenpapier – Anleitung für Organisationen. Sylvia Groth: Initiative, Erstellung und Redaktionsmitglied.
  • Groth, Sylvia (2011): Expertinnen für sich selbst. Wissen (in) der Frauengesundheitsbewegung. In: Berger, Bettina (Hg.): Raum für Eigensinn. Ergebnisse eines Expertentreffens zur Patientenkompetenz. Essen 2011, 81-105.
  • Groth, Sylvia (2001): Die Klitoris. Das verlorene, fragmentierte und wiederentdeckte Lustorgan der Frau. In: Groth, Sylvia; Rásky, Éva (Hg.): Sexualitäten. Interdisziplinäre Beiträge zu Frauen und Sexualität. Studienverlag, Innsbruck 2001, 93-10
  • Groth, Sylvia/Grottian, Giselind (1989): Qualitätskontrolle in der Schwangerschaft. Die eugenische Indikation zur Abtreibung. In: Paula Bradisch/Erika Feyerabend/Ute Winkler (Ed.): Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Beiträge vom 2. Bundesweiten Kongress, Frankfurt, 28.-30.10.1988. München: Frauenoffensive, 85-93.

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