Laudatio von Chantal Louis für Düzen Tekkal

Laudatorin Chantal Louis

2018 Laudatorin Chantal Louis
Laudatorin für Düzen Tekkal: Chantal Louis

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Jörder,
sehr geehrte Frau Kieseier,
liebe Sigrid Metz-Göckel, lieber Stiftungsvorstand
liebe Gäste
und vor allem: liebe Düzen Tekkal,

es ist mir eine Riesenfreude und große Ehre, diese Laudatio auf Sie halten zu dürfen. Das sage ich nicht, weil man das am Beginn einer Laudatio so sagt, sondern weil ich – und das sage ich aus vollem Herzen – die allergrößte Hochachtung vor dem habe, was Sie tun.
Sie haben nicht nur als Journalistin über die Verbrechen an den Jesiden und Jesidinnen berichtet, die der IS begangen hat und immer noch begeht, und damit den entsetzlichen Völkermord und insbesondere die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen öffentlich angeprangert, die in diesem Krieg begangen wird. Sie haben damit den Opfern eine Stimme gegeben. Eine dieser Frauen, denen Sie zugehört und denen Sie eine Stimme gegeben haben, hat gerade den Friedensnobelpreis bekommen.
Sie haben es aber nicht beim Berichten belassen. Sondern Sie sind von der Journalistin zur Aktivistin geworden. Mit Ihrem Verein Hawar – Hilferuf – unterstützen Sie Frauen, die aus der IS-Gefangenschaft zurückgekommen sind, dabei, wieder neu ins Leben zu finden.
Sie haben aber nicht nur Frauen und Mädchen eine Stimme gegeben, die ohne Sie niemals gehört und vergessen worden wären – Sind sind auch selbst eine vernehmliche und äußerst wichtige Stimme in der aktuellen Debatte in Deutschland um Rechtsextremismus und islamischen Fundamentalismus.
Wenn jemand mit so viel Zielstrebigkeit, so viel Unerschrockenheit und so viel Unangepasstheit in der Welt unterwegs ist, stellt sich ja immer die Frage: Woher nimmt sie diese Kraft und diesen Antrieb? Wie schafft sie das, wie ist sie so außergewöhnlich geworden? Man fragt sich – und da finde ich den französischen Ausdruck sehr passend: Wer hat sie auf die Gleise gesetzt?
In Düzen Tekkals Fall war das zunächst ein Mann: Nämlich ihr Vater. Die jesidische Familie Tekkal war Ende der 60er Jahre aus dem Südosten der Türkei nach Hannover gekommen, weil sie dort als ethnische Minderheit drangsaliert und verfolgt wurde. Es passiert nicht so oft, dass Väter nicht ihren Sohn, sondern ihre Tochter auswählen, um einen wichtigen Familienauftrag zu erfüllen. Düzen Tekkals Vater muss schon früh die Stärke seiner Tochter gespürt haben. Denn er legte ihr, noch bevor sie eingeschult wurde, immer stapelweise deutsche und türkische Zeitungen hin und forderte sie auf, sie zu lesen. Denn, sagte er, „du musst Journalistin werden, damit du später mal unsere Geschichte erzählen kannst.“ Und der Vater, von Beruf Fliesenleger, nahm seine vierjährige Tochter mit in den niedersächsischen Landtag und erklärte ihr, dass die parlamentarische Demokratie „ein Schatz“ sei. Und dass die Freiheiten und Rechte, die sie eröffnet, nicht selbstverständlich sind und dass es gilt, diese Werte alltäglich neu zu verteidigen.
Aber natürlich spielt auch die Mutter in der Familie Tekkal eine besondere Rolle. Düzen Tekkals Mutter hat elf Kinder bekommen. (Was das damit zu tun hat, dass Düzens Schwester Tugba Profifußballerin geworden ist, sei dahingestellt.) Sie konnte nicht lesen und schreiben. Aber sie hat ihren Kindern und insbesondere ihren Töchtern eine Botschaft mitgegeben: Ihr müsst 200 Prozent geben! Und: „Wenn ich eure Chancen gehabt hätte, wäre ich heute Pilotin bei der Lufthansa!“
Aber auch diese fortschrittlichen Eltern waren durchaus noch verhaftet in rückschrittlichen Traditionen und hatten ein Unbehagen damit, ihre Tochter unverheiratet zum Studium aus dem Haus gehen zu lassen. Düzen Tekkal ist diesen Weg trotzdem gegangen – und hat ihre Eltern dabei mitgenommen. Sie studierte Literaturwissenschaften und Politik und wurde Fernsehreporterin beim RTL-Magazin Extra.
Sie, die Frau mit Migrationshintergrund, wagte es, in ihren Beiträgen auch Probleme und Fehlentwicklungen bei der Integration anzuprangern. Zum Beispiel in ihrem Film „Angst vor den neuen Nachbarn“ über Kriminalität durch junge Männern mit Migrationshintergrund, der 2010 mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde. Düzen Tekkal macht auch Beiträge über Zwangsverheiratungen und sogenannte Ehrenmorden in Teilen der jesidischen Community in Deutschland.
Es gehört ein tiefer Gerechtigkeitssinn, ein klarer innerer Kompass und – im Sinne dieses Preises: Aufmüpfigkeit dazu, auch die eigene Community zu kritisieren und da, wo es im Sinne der Menschenrechte notwendig ist, Missstände anzuprangern.
Im Sommer 2014 bricht Düzen Tekkal mit ihrem Vater zu einer Reise in die Türkei und in den Irak auf. Der Vater will der Tochter die Geschichte der Jesiden, die Geschichte ihrer Familie vermitteln. Sie geraten mitten in die Massaker, die der IS an jesidischen Menschen verübt. In diesem Moment wird die engagierte Journalistin zur Kriegsreporterin. Ihr Film „Hawar – Meine Reise in den Genozid“ wird viele Menschen aufrütteln.
Düzen Tekkal will aber nicht nur berichten, sie will auch etwas bewegen. Nach ihrer Rückkehr gründet sie den Verein Hawar. Vor drei Tagen, am 9. Oktober, ist ihr Hilfsprojekt „Back to Life“ an den Start gegangen. Jesidische Frauen, die aus IS-Gefangenschaft zurückgekehrt sind, können im Frauen Empowerment Center mithilfe von Näh- und Alphabetisierungskursen zurück ins Leben finden – und sich eine eigene Existenz aufbauen.
Neben dieser sehr konkreten Hilfe für die Frauen vor Ort macht Düzen Tekkal aber auch hierzulande sexuelle Gewalt gegen Frauen zum Thema. Und sie erhebt ihre Stimme zu einem anderen Thema: den, wie sie es nennt, „bösen Zwillingen des Extremismus“.
Für viele fortschrittliche Kräfte ist es selbstverständlich, sich gegen den Rechtsruck zu positionieren. Zu Recht! Sehr viel mehr Zurückhaltung herrscht allerdings, wenn es um die andere reaktionäre und frauenfeindliche Strömung geht, die uns gerade zu schaffen macht: den islamischen Fundamentalismus. In ihrem Buch „Deutschland ist bedroht“ warnt sie vor beidem. Und nicht nur ich hatte gehofft, dass Düzen Tekkal mit ihrer klaren Haltung nach der letzten Bundestagswahl Integrationsbeauftragte wird. Die Kanzlerin hat sich leider anders entschieden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Liebe Düzen Tekkal, ich möchte zum Abschluss dieser Laudatio noch etwas Persönliches sagen. Ich habe Sie nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an Nadia Murad bei Ihrem Interview mit den Tagesthemen gesehen. Sie haben über die schrecklichen Dinge gesprochen, die sie selbst gesehen und die Ihnen Frauen wie Nadia Murad erzählt haben. Und dennoch haben Sie eine unglaubliche Zuversicht ausgestrahlt. Und ich habe mich gefragt: Wie macht sie das? Und wie auch immer Sie das machen – ich wünsche Ihnen und uns von Herzen, dass Sie diese Kraft und dieses innere Leuchten behalten mögen. Und dass Sie weiterhin – im Sinne dieses Preises – aufmüpfig bleiben.