Rede Sylvia Löhrmann
Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, MdL
21. September 2012
in der Bürgerhalle des Rathauses der Stadt Dortmund
Man kommt nicht als Frau auf die Welt“, sagte Simone de Beauvoir, „man wird dazu gemacht.“
Sehr geehrte Frau Gemein,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Frau Jörder,
sehr geehrte Frau Professorin Metz-Göckel,
sehr geehrte Frau Professorin Kreienbaum,
meine Damen und Herren,
herzlichen Dank für Ihre Einladung.
Hier und heute verleihen Sie wieder den Preis für „aufmüpfige Frauen“ – diesmal an eine Kollegin, an die ehemalige Leiterin des Mädchengymnasiums Essen-Borbeck.
Frau Gemein – Sie bekommen diesen Preis. Das heißt nichts anderes als: Sie sind eine Frau und Sie sind „aufmüpfig“.
„Aufmüpfig“ stammt vom schweizerischen Wort müpfig im Sinne von widersprechend, das auf muffig zurückgeht.
Es wurde von der Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfDS) 1972 im ersten sprachlichen Jahresrückblick zum „Spitzenwort“ der Wörter des Jahres 1971 erklärt.
- Wer „aufmüpfig“ ist, reißt die Fenster auf, um frischen Wind hineinzulassen.
- Aufmüpfige Menschen geben sich nicht sofort zufrieden. Sie widersprechen, sie engagieren sich, sie hinterfragen scheinbar Gegebenes.
- Aufmüpfige Menschen sind mündige Menschen. Sie bewegen etwas und schaffen etwas, das vorbildlich für andere sein kann und das menschliche Miteinander fördert.
- Aufmüpfige Menschen braucht jede Demokratie. Frauen und Männer gleichermaßen.
Die Stiftung für „aufmüpfige Frauen“ unterstützt besonders Frauen, die aus der Reihe tanzen, die allein – ohne eine große Organisation im Rücken -, etwas bewegen. Und das halte ich auch für wichtig.
Meine Damen und Herren,
die Zugehörigkeit zum weiblichen oder männlichen Geschlecht ist noch immer eine der prägendsten und bedeutsamsten gesellschaftlichen Unterscheidungen. Das Leben von Frauen und Männern weist in den meisten Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens große Unterschiede auf, ohne dass dies immer bewusst wäre.
Wichtig ist, dass wir es bewusst machen.
Chancengerechtigkeit kann es nur geben, wenn wir bei allen gesellschaftlichen Vorhaben berücksichtigen, dass es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.
Einerseits haben Mädchen heutzutage die besseren und höheren Schulabschlüsse als Jungen. Andererseits zeigt sich beim Berufswahlverhalten weiterhin ein sehr große Diskrepanz.
Mädchen wählen vor allem Dienstleistungsberufe mit eher geringen Karriere- und Verdienstmöglichkeiten.
Jungen wählen selbstverständlicher unter einem breiteren Berufsspektrum aus, bevorzugen aber gewerblich-technische Berufe.
Gründe hierfür sind vor allem auf Geschlechterstereotype zurückzuführen, die junge Frauen und Männer verinnerlicht haben und bei denen es wichtig ist, sie aufzudecken.
Denn diese Art der Berufswahl hat Auswirkungen auf Beschäftigungsmöglichkeiten, Verdienst, berufliches Fortkommen und auf das gesellschaftliche Ansehen.
Oftmals werden mit der Berufswahl bereits die Weichen für spätere „Armutskarrieren“ gestellt:
Mädchen und Frauen begreifen ihre Berufstätigkeit häufig als „Zuverdienst“ und sind eher bereit, ihren Beruf zugunsten der Familienarbeit einzuschränken, zu unterbrechen oder sogar ganz aufzugeben, mit entsprechenden Folgen für ihre ökonomische Unabhängigkeit, ihre Altersversorgung, das Familieneinkommen und – das möchte ich betonen – unsere wirtschaftliche Zukunft als Land.
Diese unterschiedlichen Bewertungen von Lebens- und Erfahrungswelten von Männern und Frauen beruhen auf stereotype Vorstellungen von „weiblichem“ und „männlichem“ Verhalten.
Wir leben leider immer noch in einer Welt, die stark durch die Zuweisung von Geschlechterrollen geprägt ist.
In der Politik ist ja einiges in Bewegung geraten:
Unsere Republik wird von einer Kanzlerin, unser Land von zwei Frauen an der Spitze regiert. – Darüber freue ich mich immer wieder aufs Neue.
Und heute hat sich der Bundesrat in seiner 900sten Sitzung mit einer parteiübergreifenden Mehrheit für eine feste Frauenquote in Dax-Unternehmen ausgesprochen.
Der Deutsche Bundestag muss sich nun zu diesem Gesetzentwurf verhalten, – das wird spannend, zumal sich ja auch prominente CDU-Frauen für diese Quote aussprechen. Mal sehen, wie aufmüpfig sie sind!
Meine Damen und Herren,
für ein gerechtes, zukunftsweisendes und leistungsstarkes Bildungssystem ist es wichtig und notwendig, stereotype Vorurteile aufzudecken und zu durchbrechen.
Da Menschen immer wieder mit impliziten geschlechtsspezifischen Erwartungen konfrontiert werden, ist es wichtig, Sensibilität dafür zu schaffen, Geschlechterdifferenzen wahrzunehmen. Sie dürfen sich aber nicht – wie es auch das Bundesverfassungsgericht sagt – als tradierte Rollenzuweisungen verfestigen.
Wir müssen Menschen als Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt wahrnehmen.
Und wir müssen berücksichtigen, dass sich Frauen und Männer in unterschiedlichen Lebenslagen befinden.
Denn nur wer die jeweiligen Unterschiede berücksichtigt, kann Diskriminierung vermeiden.
Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt wahrzunehmen bedeutet aber auch – und das haben wir im Schulkonsens bekräftigt – eine vielfältige Bildungslandschaft zu entwickeln, in welcher jede und jeder Einzelne die Chance hat, sich individuell zu entwickeln und Wege jenseits von Stereotypen kennen lernen und sich bewusst entscheiden lernt.
Frau Gemein, genau dies haben Sie gemacht.
Sie haben Mädchen und jungen Frauen neue Wege aufgezeigt.
Sie haben eine lebendige Schulkultur geprägt und vielfältige mögliche Wege jenseits von Stereotypen aufgezeigt.
Sie haben europäisches und interkulturelles Denken gefördert und waren auch in ihrer Rolle als Schulleiterin ein Vorbild für eine mutige, originelle, unkonventionelle und selbstbewusste Frau.
Frauen wie Sie tragen dazu bei, dass sich unsere Gesellschaft verändert. Dass Menschen sensibilisiert werden für Gleichstellung, für Stereotype und für Gerechtigkeit.
Nein. Wir kommen nicht als Frauen oder Männer auf die Welt. Wir kommen als Individuen auf die Welt.
Wichtig ist, dass unreflektiert übernommene Stereotype uns nicht überformen.
Jede und jeder Einzelne muss in unserem Bildungssystem die Chance bekommen, in einem Miteinander von Akzeptanz und Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe ihren und seinen Weg zu finden und auszugestalten.
Denn das ist die Basis unserer Demokratie.
Meine Damen und Herren,
ich danke der Stiftung für „aufmüpfige Frauen“, dass sie uns dies wieder bewusst macht, ich danke Frau Gemein für ihre Arbeit und ihr Engagement und Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.