2012 Rede Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel

Rede Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel, Stifterin

21. September 2012
in der Bürgerhalle des Rathauses der Stadt Dortmund

Wir zeichnen heute Frau Elisabeth Gemein aus und ich möchte dies aus Sicht der Stiftung „Aufmüpfige Frauen“ begründen.

Frau Gemein ist ein beruflicher Aufstieg in eine Positionshöhe gelungen, der häufig einsam macht, denn auf den Gipfeln kann es kalt und stürmisch sein.

Sie hat sich auf die Schulleitung vielseitig vorbereitet und viele Lehrer und Lehrerinnen dabei mitgenommen, so dass sie, am Gipfel angekommen, oben gar nicht einsam war. Das ist professionelle Leitung.

Als Stifterin freut mich die Wahl von Frau Gemein als Preisträgerin und Schulleiterin des einzigen öffentlichen Mädchengymnasiums in NRW besonders und zwar aus drei Gründen:

Zum ersten: Ich durfte bei der Verabschiedung von Frau Gemein aus ihrem Amt dabei sein, deren Programm (fast) ausschließlich die Schülerinnen gestaltet haben. Ich war von dieser Feier, der Atmosphäre in der Schule, vor allem von der Identifikation der Lehrerinnen und Lehrer, der Schülerinnen und Eltern mit dieser, ihrer Schule ausgesprochen angetan. Frau Gemein hat es geschafft, eine sehr stimmige, ja beflügelnde Atmosphäre in dieser Schule herzustellen.

Der zweite Grund ist ein persönlicher, meine eigenen Schulerfahrungen.

Ich habe 7 Jahre ein Gymnasium im altsprachlichen Zweig mit einer massiven Jungendominanz besucht. Ich bin in dieser Klasse intellektuell sehr gut mitgekommen und fühlte mich auch aufgehoben. Als ich zwei Jahre vor dem Abitur auf ein Mädchengymnasium, in Hannover wechselte, habe ich dort eine intellektuelle Kompetenz und Überlegenheit einiger Mitschülerinnen erlebt, die mir einen Respekt vor der Intellektualität von Frauen vermittelt haben, der mich mein Leben lang begleitet. Einige der Schülerinnen waren mit so großer Leichtigkeit dabei und insbesondere in Mathematik und Physik hat mich meine Sitznachbarin nachhaltig beeindruckt. Als gute Schülerin war ich es gewohnt, mich mit Jungen zu vergleichen, mit ihnen zu konkurrieren, nun musste ich es mit altersgleichen Mädchen lernen. Ich zitiere Waburg/Schubert: “An Mädchenschulen wird der Rahmen für soziale Vergleichsprozesse von den Klassenkameradinnen vorgegeben -, Vergleiche mit Jungen werden obsolet“ (2007: 123).

Drittens sprechen einige positive, aber vor allem widersprüchliche und unklare Untersuchungsbefunde zur Selbstbeschreibung und zum Interessenspektrum der Schülerinnen von Mädchenschulen im Vergleich zu koedukativen Schulen dafür, die empirische Forschung weiter zu betreiben und monoedukative Experimente zu ermöglichen.

Im Allgemeinen sind die Schülerinnen in den koedukativen Schulen inzwischen erfolgreicher als die Jungen, die ihre Rolle und ihre Beziehungen zum anderen Geschlecht neu definieren müssen. Denn auch die Mädchen sind nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Dies bringt Jungen wohl in größere Selbstfindungsschwierigkeiten als gedacht, die auch eine jungensensible Pädagogik erforderlich machen.

Das Geschlecht ist aber nicht das einzige Kriterium, eine Mädchenschule zu legitimieren. Geschlecht gibt es nie pur, es verbindet sich immer mit anderen sozialen Variablen wie sozialer und ethnischer Herkunft, sexuelle Orientierung und vor allem Altersstufen. Bisher hat die Koedukation – anders als erwartet – nicht zur deutlichen Auflösung der polarisierten Interessenentwicklung zwischen Jungen und Mädchen geführt. Deshalb können monoedukative Praxiserprobungen wie das MGB hier aufschlussreiche Hinweise geben.

Wir zeichnen Frau Gemein aus, weil sie gegen den Zeitgeist eine moderne Konzeption einer Mädchenschule entwickelt und umgesetzt hat. Mädchen stärken war von Anfang an ihr Programm. Nicht die ideologischen Positionen, sondern praktische Experimente mit ihren in der Regel viel differenzierteren Ergebnissen können überzeugen und haben, so die Auskunft auf dem Ministerium, die Schule in ihrer Umgebung glänzend überleben lassen, selbst mit diesem fast exotischen Status.

Nur wer sich engagiert, bewegt etwas. Nur wer quer denkt, kann die Richtung ändern, sind Leitsprüche unserer Stiftung. Frau Gemein hat nicht die Richtung der Koedukation geändert, aber dem Mädchengymnasium einen Platz in der Schullandschaft verschafft. Dafür hat sie den Preis verdient.

Die Stiftung Aufmüpfige Frauen hat eine gesellschaftspolitische Zielsetzung und will Frauen für die Bürgerinnen-Gesellschaft stärken. Immer wieder wurden wir mit der Aufforderung konfrontiert, das Eigenschaftswort aufmüpfig durch mutig oder tapfer zu ersetzen. Wir haben es intuitiv nicht getan, im Gegenteil. Wir versuchen den Begriffen aufmüpfig und feministisch einen guten Klang zu verschaffen, Definitionshoheit darüber zu erhalten.

Fast wöchentlich erhalten wir Anfragen auf Förderung im Sozialbereich, Urlaub mit Behinderten, einen Kredit oder Zahnersatz zu finanzieren. Es sind bewusst nicht die Schäden unserer Gesellschaft, die wir karitativ lindern wollen, Ziel ist vielmehr, ihre Herstellung zu verhindern.

Ich komme abschließend zu unserer Preisträgerin und ihrer Aufmüpfigkeit zurück. Für viele ist es ein unpassender, problematischer Begriff. Ein gewisser Stachel, eine zumindest leise Provokation, ein Aus-der-Reihe-Tanzen sollte mit Aufmüpfigkeit schon verbunden sein. Aber Aufmüpfigsein kann Vielfältiges bedeuten. Wir zeichnen diesmal eine Schulleiterin aus, deren Aufmüpfigkeit eine stille, selbstkritische Nachdenklichkeit ist, keine spektakuläre oder sensationelle Auffälligkeit. Und doch oder gerade deshalb ist ihre Schule nicht ganz linienkonform, vielmehr selbstbewusst eigenständig und sozial aufgeschlossen. Kein Schema, das für sie passt, weil sie einen eigenen Weg gegangen ist.

Solche Differenzierungen braucht das Schulsystem und viele solcher Schulen.

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