2010 Rede Shaima Ghafury

Rede Shaima Ghafury
Preisträgerin

24. September 2010 mit 250 geladenen Gästen in der Bürgerhalle des Rathauses der Stadt Dortmund

Sehr geehrter Herr Ullrich Sierau, OB der Stadt Dortmund,
Sehr geehrter Herr Abed Nadjib von der Afghanischen Botschaft,
Liebe Frau Brigitte Wolfs, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund,
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

ich bedanke mich ganz herzlich bei der Stiftung „Aufmüpfige Frauen“, deren Namen man auf Persisch mit „Sanane baa Schahamat“ wiedergeben kann, bei dem Vorstand und bei der Stifterin Frau Prof. Metz-Göckel.

Nachdem ich im Jahr 1992 durch die Flucht alles außer meiner Familie verloren hatte, habe ich nie gedacht, dass meine Arbeit in Deutschland eine solche Anerkennung erhalten würde. Es ist eine große Ehre für mich, hier im Dortmunder Rathaus zu sein und den Preis von einer Frauenstiftung zu erhalten. Zudem ist es eine Bestätigung meiner Lebensweise, eine Medizin auf den Wunden meines Herzens, die mir auf meinem Lebensweg zugefügt wurden und werden. Deshalb fühle ich mich sehr geehrt, aber auch gleichzeitig ein Stück umsorgt.

Dieser Preis gehört eigentlich den Menschen, besonders den Frauen, die gelitten haben, die hilflos waren, die Hilfe brauchten, die ein Licht am Ende des Tunnels sehen mussten, um nicht zu verzweifeln. Ich bin dankbar, dass ich diese Not wahrgenommen und versucht habe, meine Zeit, meine Energie, mein Glück, mein gesichertes Leben in Deutschland und sogar meine Familie mit ihnen zu teilen, ihnen Tränen abzuwischen, eine Hoffnung zu geben, einen Weg zu zeigen und ihnen zu sagen: „Ihr seid nicht allein“. Heute, mit diesem Preis, haben Sie, Frau Metz-Göckel, und der gesamte Vorstand deutlich gemacht, dass ich und die anderen afghanischen Frauen nicht alleine sind. Eine solche Unterstützung hat für die afghanischen Frauen eine besondere Bedeutung. Sie sind tapfere Frauen, die nicht nur für die Freiheit des Landes, sondern auch für das alltägliche Leben gekämpft haben. Sie versuchen das Land wieder aufzubauen und ihre angemessene Stelle als Frau in der Gesellschaft einzunehmen. Sie haben während des Krieges im Lande oder in der Migration immer versucht, ihre Familien zu retten, ihre Kinder zu erziehen und glücklich zu machen und wenn möglich anderen zu helfen. Ein Bespiel ist unser Frauenverein in Pakistan.

In diesem Sommer habe ich das Glück gehabt, in Kanada eine Frau besuchen zu können, die den Partnerverein in Pakistan im Jahr 1994 nach Absprache mit unserem Verein gegründet hatte. Diese Frau und ihre Familie hatten nach sieben Jahren harten Lebens in Pakistan Asyl in Kanada erhalten. Sie erzählte mir, dass die afghanischen Flüchtlingsfrauen in Pakistan zunächst sehr verzweifelt und ihr gegenüber misstrauisch waren. Weil sie aber eine Arbeit und damit ein Einkommen in einem fremden Land benötigten, haben sie sich für die Arbeit im Verein entschieden. Nach einigen Monaten wurde das bescheidene Vereinszimmer ihr Zuhause, ihr Vertrauensplatz, ihre finanzielle Quelle, ihre Beratungsstelle und ihr Lieblingstreffpunkt, wo sie wieder lachen konnten. Ich habe in Kanada auch die Kinder dieser Frau kennengelernt. Ich kannte ihre Namen und ihre Geschichte von früher. Ich wusste, dass sie in Pakistan das Schulgeld nicht bezahlen konnten und deshalb zuhause bleiben mussten. Und was für ein Zuhause war das? Zwei Zimmer, bewohnt von 14 Personen. Aber dank der Vereinsarbeit und der Spenden aus Deutschland konnten diese Kinder und noch weitere 40 Flüchtlingskinder die Schule besuchen. Meine Augen füllten sich mit Tränen, als diese jungen Leute mir erzählten, dass sie jetzt in Kanada studieren und ohne die Vereinshilfe dies nicht hätten erreichen können.

Es ist schön, wenn man jemandem eine Zukunft schenken kann. In den Ländern wie Deutschland ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Kind die Voraussetzungen für eine gute Zukunft hat, aber in einem Land wie Afghanistan ist das ein Privileg, insbesondere in den Gebieten, wo immer noch mehr oder weniger eine Kriegssituation herrscht. Seit zwei Jahren unterstützen die Mütter und Väter in einem solchen Gebiet namens Wardak unsere Schulen, indem sie ihre Töchter regelmäßig für vier Stunden pro Tag zur Schule schicken, anstatt sie Haus- oder Feldarbeit verrichten zu lassen. Um die Schulen erhalten zu können, kommunizieren sie mit den Taliban und ermutigen ihre Töchter, sich fortzubilden. Der Preis gehört auch diesen Frauen und Mädchen.

Glücklich zu sein, ist ein relativer Begriff. Man denkt, wenn Menschen aus kriegerischen Situationen oder aus Armut in ein reiches Land flüchten können, dass sie glücklich seien. Aber nein. Da beginnen zunächst wieder neue Herausforderungen und neue Probleme. Als ich selber nach Deutschland geflüchtet war, hatte ich das Gefühl, nutzlos zu sein, wie ein abgeschnittenes Holzstück ohne Wurzel, Blätter und Früchte in einem Obstgarten, wo alles andere seine Funktion hat und Frucht bringt. In einem Obstgarten taugt ein Holzstück nur zum Verbrennen. Deshalb habe ich mich entschieden, nicht zuzulassen, verbrannt zu werden und zu versuchen, möglichst vielen anderen Migrantinnen und Migranten zu helfen, sich zu integrieren und mit den Herausforderungen zu wachsen. Der Preis gehört auch diesen Menschen, die sich bemühen, ihr Leben in der neuen Gesellschaft fruchtbar zu machen.

In allen diesen Jahren habe ich die starken Hände der Menschlichkeit gespürt, sei es von meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Verein, von unserem Spenderkreis, von meinen Kolleginnen und Kollegen, von Familie, Freunden und Nachbarn und jetzt von der Stiftung “Aufmüpfige Frauen“. Hier, an dieser Stelle, bedanke ich mich ganz herzlich für ihre Unterstützung.

Ich bedanke mich ebenso herzlich bei Ihnen, liebe Gäste, dass Sie den Weg zum Dortmunder Rathaus gefunden haben, um zusammen mit mir dieses Ereignis zu feiern.

Ich möchte von dieser Tribüne einen Appell an alle interessierten Frauen und Männer richten. Wir müssen die Situation Afghanistans genauer betrachten. Wir sollten die Frage stellen, ob es eine transparente und einheitliche Politik seitens der afghanischen Regierung und den in Afghanistan agierenden Mächten gibt? Wie werden die Hilfsgelder in Afghanistan verteilt? Wie werden die Projekte im Land umgesetzt? Wieviel Prozent der Bevölkerung profitiert tatsächlich vom großen Geldfluss nach Afghanistan? Wie Groß ist der Anteil, der der Frauenförderung zu Gute kommt? Wollen Afghanen nicht endlich in Frieden leben, Perspektiven entwickeln und ihren Kindern Bildung ermöglichen? Werden sie lernen, dass politische gewaltfreie Diskussionen die notwendige Alternative zu Kampf und Gewalt sind?

Das afghanische Problem geht nicht nur Afghanen an. Viele Länder sind davon betroffen. Das Schicksal vieler Töchter und Söhne aus den anderen Nationen der Welt ist mit dem Schicksal dieses Landes verbunden. Deshalb ist man berechtigt und verpflichtet, sich in die Politik dieses Landes einzumischen, politischen Anstand und Eindeutigkeit und wirtschaftliche Transparenz zu verlangen.

Verehrte Damen und Herren, liebe Anwesende,
was meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter und ich machen, mag als Tropfen auf einen heißen Stein erscheinen. Ja, diesen heißen Stein gibt es. Es ist der Analphabetismus. Er wird den Menschen tiefe Wunden zufügen, wenn wir ihn nicht mit immer mehr Tropfen kühlen.

Ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich bei der Stiftung “Aufmüpfige Frauen“ und allen, die diese Veranstaltung organisiert und mitgestaltet und bei denen, die daran teilgenommen haben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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