2008 Rede Dr. Gerhard Langemeyer

Rede Dr. Gerhard Langemeyer
Oberbürgermeister der Stadt Dortmund

14. November 2008 mit 180 geladenen Gästen in der Bürgerhalle des Rathauses der Stadt Dortmund

Sehr geehrte Frau Dr. Walczewska,
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Choluj,
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Schwan,
sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin van Dinther,
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Metz-Göckel,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

Ihnen allen ein herzliches Willkommen im Rathaus Dortmund.

Dr. Gerhard LangemeyerGlücklich eine Stadt wie Dortmund, die Sitz einer so engagierten und in Ihrer Art wohl einzigartigen Stiftung ist – der Stiftung aufmüpfige Frauen. Darauf sind wir stolz. Ihrer freundlichen Einladung, an der heutigen Preisverleihung teilzuhaben, bin ich deshalb gern gefolgt.

Ihre Preisverleihung an Frau Dr. Walczewska scheint auf den ersten Blick vielleicht überraschend – bei genauerem Hinsehen ist sie historisch begründet, hoch aktuell und zudem ein wichtiges politisches Signal.

Betrachtet man die Geschichte des Ruhrgebiets und der Stadt Dortmund, so lenken Sie mit der Preisverleihung an Frau Dr. Walczewska den Blick auf die Geschichte der deutsch – polnischen Migration.

Das Ruhrgebiet ist seit mehr als 100 Jahren Einwanderungsgebiet. Eine erste große Welle polnischer Einwanderer gab es Ende des 19. Jahrhunderts, als das Ruhrgebiet für seine Arbeit unter Tage und in den Hüttenbetrieben Arbeitskräfte suchte. Während des Ersten Weltkriegs intensivierte sich die Anwerbepolitik der Montanindustrie erneut, die vielfach eine Zwangsrekrutierung polnischer Arbeitskräfte war. Viele von ihnen kehrten nach dem Ersten Weltkrieg in den 1918 wieder gegründeten polnischen Staat zurück. Viele wanderten später gezwungenermaßen wegen der politischen Verhältnisse aus Nazideutschland weiter in europäische Nachbarstaaten, z.B. nach Frankreich oder auch nach Übersee. Zu verstärkter Zuwanderung kam es auch in den 1980er Jahren, als die ökonomische Situation in Polen sehr schlecht war. Darunter waren auch viele so genannte Spätaussiedler.

In der heutigen Diskussion wird die Geschichte der deutsch-polnischen Migration oft als gelungen gewürdigt und als Beispiel für die weltoffene Atmosphäre des Ruhrgebiets betrachtet. Das ist teilweise natürlich richtig. Denn wer mit geöffneten Augen durch das Ruhrgebiet fährt, sieht eine vielfältige deutsch – polnische Kultur, sieht polnische Kioske, Diskotheken und auch polnische Kirchengemeinden. Und er trifft viele Menschen polnischer Abstammung, denen das selbst schon gar nicht mehr bewusst ist.

Gleichwohl sollten wir uns auch bewusst sein, dass die Geschichte der deutsch – polnischen Migration auch eine Geschichte der Unterdrückung und Diskriminierung ist. Es gehört auch zur historischen Wahrheit, dass die damalige preußische Obrigkeit die Kultur der polnischen Migranten unterdrückte, dass es große Vorurteile und Diskriminierung seitens der einheimischen Deutschen gab – man denke nur an das Schimpfwort „Pollacken“ – dass es während beider Weltkriege Zwangsrekrutierungen gab und das die polnischen Zwangsarbeiter während des zweiten Weltkrieges auf Grund der Rassenhierarchie der Nazis besonders schlecht behandelt wurden.

All diese Dinge gehören auch in einen aktuellen deutsch-polnischen Dialog – und ich bin davon überzeugt, mit Ihrer Preisverleihung an Frau Dr. Walczewska tragen Sie zu dieser historischen Aufarbeitung bei.

Bezogen auf die Situation der deutsch – polnischen Migration ist Ihre Preisverleihung zudem hoch aktuell. Denken Sie nur an die neuen Formen der Arbeitsmigration in einer nun globalisierten Welt. Ich denke hier an die sogenannte „Pendelmigration“, an Hausarbeit und Pflege. Und auch das scheint mir in diesem Zusammenhang wichtig: Arbeitsmigration ist heute zunehmend weiblich.

Das Ruhrgebiet kann im Licht dieser neuen Entwicklungen auch als ein „transnationaler Raum“ gesehen werden, als Teil eines deutsch-polnischen Migrationssystems.

Viele Migranten sind heute gleichzeitig an verschiedenen Orten verankert, mindestens in der Herkunfts- und Ankunfts­gesellschaft. Die Grenzen zwischen den Lebensmittelpunkten sind dabei fließend. Die Pendler nutzen „Mobilität als Ressource“ zur Verbesserung bzw. Veränderung ihres ökonomischen oder sozialen Status und tragen so zur Etablierung neuer räumlicher Beziehungen bei.

Ihre Preisverleihung richtet die Aufmerksamkeit auf diese neue internationale Arbeitsteilung, die Feminisierung der Migration und die Etablierung transnationaler Netzwerke. Hier ist ein deutsch – polnischer Dialog sicherlich sehr gewinnbringend.

Zu guter Letzt: Ihre Preisverleihung an Frau Dr. Walczewska setzt auch ein politisches Signal.

Im kollektiven Gedächtnis Polens lasten die gespannten Beziehungen zwischen der Weimarer Republik und dem neu gegründeten polnischen Staat im Jahre 1918 – und mehr noch die kriegerische Aggression des sogenannten Dritten Reiches im September 1939 gegen Polen und seine Vernichtungspolitik während der Okkupationszeit bis 1945.

Diese für Polen schmerzlichen historischen Erfahrungen haben tiefe Wunden gerissen, die erst langsam geheilt werden. Viel Zeit und Bemühungen sind notwendig, bis sich wieder Vertrauen aufbaut.

Ihre diesjährige Preisverleihung an die polnische Philosophin und Frauenaktivistin Dr. Walczewska wird das Vertrauen in tragfähige und fruchtbare Beziehungen zwischen der jüngeren Generation von Polen und Polinnen und Deutschen fördern und ist selbst Ausdruck eines solchen Austausches.

Ich möchte Ihnen, Frau Dr. Walczewska, sehr herzlich zur Preisverleihung gratulieren, danke Ihnen allen, dass Sie heute zum Teil von weit her in unsere Stadt gekommen sind und bedanke mich auch bei der Stiftung aufmüpfige Frauen, dass Sie mit Ihrer Preisverleihung einen so wichtig Beitrag zu den deutsch-polnischen Beziehungen leisten.

Vielen Dank!

Zurück zur Übersicht der Preisverleihung 2008 »