2008 Laudatio Prof. Dr. Bozena Choluj

Laudatio Prof. Dr. Bozena Choluj
Universität Warschau und Universität Frankfurt/Oder

14. November 2008 mit 180 geladenen Gästen in der Bürgerhalle des Rathauses der Stadt Dortmund

Es ist für mich eine große Ehre und Freude, an der Preisverleihung an Slawomira Walczewska teilzunehmen. Und dies nicht nur deswegen, weil ich von Ihnen, Frau Prof. Metz-Göckel, eingeladen bin und in diesem öffentlichen und festlichen Raum vor so vielen wichtigen Menschen reden darf, auch nicht nur deswegen, weil hier eine Polin ausgezeichnet wird, die meinen Traum, Traum einer Germanistin und Kulturwissenschaftlerin, erfüllt, indem sie enge Kontakte zu Deutschland pflegt, was in der polnischen Frauenbewegung immer noch selten ist, sondern auch deswegen, weil ich mir keinen adäquateren Preis für Sławomira Walczewska vorstellen kann, was ich in einigen wenigen Worten zu erläutern versuche werde.

In der Person von Sławomira Walczewska steht vor Ihnen, geehrte Damen und Herren, eine Philosophin, die den Gedanken von der „Krisis der europäischen Wissenschaften“ von Edmund Husserl für sich radikal in Anspruch genommen hat, indem sie von dem Wissenschaftsbetrieb in die Praxis überwechselte; eine Aktivistin, die die Entscheidungen des polnischen Parlaments zu Frauenpolitik nicht akzeptierte und Frauen zum Protest gegen das restriktivste Abtreibungsgesetz in der Europäischen Union mobilisierte. Eine Feministin der ersten Stunde, die Frauen aus allen Bereichen (aus Nichtregierungsorganisationen, aus Universitäten, aus Kunstbereichen) nach Krakau in den neunziger Jahren einlud, um diese für die gemeinsame Arbeit an der Verbesserung der Situation der Frauen zu konsolidieren; nicht zuletzt ist sie eine Person, die bis heute gegen jede Form des Zentralismus rebelliert, besonders vehement, wenn sie ihn unter Frauen wittert. Vor Ihnen steht also die aufmüpfigste Frau Polens. Der Preis, der ihr heute verliehen wird, würdigt alle diese Aktivitäten, die Polen zu einem anderen, weil geschlechtergerechteren Staat zu verwandeln suchen. Und ich kann persönlich bezeugen: es ist eine schwere Arbeit. In diesem Land, in dem Frauen vor neunzig Jahren das Wahl- und Stimmrecht für sich erkämpft hatten, existiert immer noch kein Gleichstellungsgesetz; Frauen bekommen Entbindungsprämie als Anreiz zum Gebären, jedoch keine sichtbare, reale Unterstätzung danach bekommen; ein Land, in dem Frauen immer noch nicht in Entscheidungsgremien aufgenommen werden; in dem für Frauen in der Politik permanent neu argumentiert werden muss. In solch einem Land ist die Präsenz einer solchen Person besonders wichtig. Im weltweiten „Gender Gap Index“, der die soziale Stellung von Mann und Frau analysiert, liegt Polen unter 130 Staaten auf Platz 49 (nach Russland, Belarus und den baltischen Staaten). Die größten Ungleichheiten tauchen bei der Lohnpolitik privater Unternehmen auf: In dieser Rubrik liegt Polen auf Platz 126!!!

Neuere Theorien sozialer Bewegungen haben viel über ihre Kontexte zu sagen, zu führenden Personen schweigen sie dagegen am liebsten. Wenn man aber auf die soziale Dynamik dieser Bewegungen schaut, lässt sich die Rolle engagierter Persönlichkeiten nicht übersehen. Und eine solch herausragende Persönlichkeit ist Sławomira Walczewska; ohne sie wäre die schnelle Entwicklung der zweiten polnischen Frauenbewegung nach 1989 nicht denkbar.

Was heißt das aber konkret? Das gesamte Spektrum der Aktivitäten von Sławomira Walczewska lässt sich nicht kurz und bündig darstellen. Ich kann nur stichwortartig auf einen Charakterzug verweisen, der eine Garantie dafür ist, dass sie auch nach der Preisverleihung so aktiv bleibt, wie sie es seit Jahren ist. Es ist die bewundernswerte eiserne Konsequenz, mit der sie die Frauenthemen verfolgt und sich für Frauenfragen einsetzt. Das tut sie überall, wo es nur geht. Sie kehrte sogar für eine kurze Zeit nach zehn Jahren Abwesenheit in die Wissenschaft zurück, um hier eine wichtige Spur ihrer Erkenntnisse zu polnischer Geschlechterkultur zu hinterlassen. 1997 promovierte sie mit einer Arbeit zum feministischen Diskurs in Polen. Obwohl sie die soziale und politische Praxis höher schätzt als die Theorie, bemühte sie sich für ihre Märztagungen in Krakau im gleichen Masse um Aktivistinnen und Akademikerinnen. Von Anfang an wusste sie, dass das Private auch politisch ist. So nimmt es nicht wunder, dass ihre ersten vagen feministischen Ideen und Aktionen in einer Dachbodenwohnung kurz vor der Wende von 1989 zu reifen begannen. Es ist keine x-beliebige Wohnung, sondern eine der Wohngenossenschaft der Postmitarbeiterinnen namens Władysława Habicht, wo nur Frauen wohnen, die berufstätig und selbständig sind, im Sinne von alleinstehend, sind, wobei alleinstehend in ein moderneres Wort übersetzt werden müsste, das es weder im Deutschen noch im Polnischen gibt, auch der Neologismus selbständig-stehend würde den gemeinten Sachverhalt nicht wiedergeben. Vor 1939 wohnten hier weibliche Postangestellte. Ihre Wohngenossenschaft war eine Verstetigung der Krakauer Erfolge der ersten Frauenbewegung. An diese Tradition knüpfte Walczewska an, indem sie in ihrer eFKa- Frauenstiftung ein Brutnest für neue Feministinnen organisierte. Diese werden von ihr mit unendlicher Geduld begleitet, bis sie selbständig kritisch denken und wirken können.

Hart und grundsätzlich, gar nicht geduldig ist sie aber überall dort, wo Frauenfragen vernachlässigt werden. Da kennt Sławomira Walczewska keine Kompromisse. In die Formierung der Partei der Polnischen Grünen hat sie sich so lange engagiert, bis sich in ihr die Gleichstellungsprinzipien etablierten und es klar wurde, dass diese Partei Frauen in ihren Bemühungen um Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes in Polen unterstützen wird.

Zur Zeit verwandelt Walczewska Krakau in eine Stadt von Frauen, indem sie große Persönlichkeiten der Vergessenheit entreißt und in Form eines Stadtführers für das kollektive Gedächtnis gewinnt. Sobald er fertig wird, werden Sie ihn sicher mit einer Einladung bekommen, damit Sie diese alte polnische Stadt für sich anders entdecken, nicht nur als die erste Hauptstadt der königlichen Macht in Polen.

Walczewska agiert aber nicht nur auf dem Dachboden, nicht nur in ihrer Organisation, in Krakau oder in ganz Polen. Sie ist mit mehreren internationalen Frauenorganisationen vernetzt, und bleibt dabei auch dem Osten treu. Sie arbeitet mit armenischen Frauen im Ringen für die dortigen Frauenrechte zusammen. Es ist eine Art Weitergabe der Unterstützung, die sie von der deutschen FrauenAnstiftung und dann von der Böll-Stiftung in den 90er Jahren für ihre Organisation bekommen hatte. In der europäischen Kultur, die seit Jahrhunderten, wenn nicht mehr südwärts, so doch immer noch westorientiert ist, ist dieses Engagement von gravierender Bedeutung, besonders in jenen Momenten, wenn die EU viel mehr mit sich selbst und ihren Krisen als mit der Welt außerhalb ihrer beschäftigt ist.

Es bedeutet aber nicht, dass Walczewska ihre westlichen Freundschaften, die sie einmal geschlossen hat, vernachlässigt. Gerade diese verbinden sie seit geraumer Zeit mit Deutschland. Schon als Studentin und Doktorandin knüpfte sie in der Deutschen Gesellschaft für Studentenaustausch die ersten Kontakte. In den Jahren 1991-1993 organisierte sie Polnischkurse für Deutsche, und selbst unterrichtete sie so intensiv, dass Steffen Möller, heute ein deutscher Stern des polnischen Films und Fernsehshows, sich in sie und ihre Partnerin unglücklich verliebte. Seinen Zugang zu Polen gewann er über die polnischen Feministinnen, was er in seinem Buch „Viva Polonia“ beschreibt. Walczewskas Jahrelange Zusammenarbeit mit der Böll-Stiftung, ihr Engagement in der Berliner Weiberwirtschaft, gemeinsame Projekte mit deutschen Partnerinnen, Übersetzungen aus dem Deutschen, all das sind Aktivitäten, in denen beiden Teile Europas, Ost- und Westeuropa an der deutsch-polnischen Grenze zusammenwachsen.

Zum Schluss möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass wir hier an einem höchst politischen Ereignis teilnehmen, in dessen Mittelpunkt eine Frau, eine Polin, eine Feministin steht. Im Rathaus, einem festlichen Stadtverwaltungsraum wird ihr, Slawomira Walczewska, ein Preis der Aufmüpfigen Frauen /zadziornych, niepokornych kobiet/ durch eine gleichnamige Nichtregierungsorganisation verliehen. In diesem Akt kommen Phänomene zusammen, die noch vor kurzem nicht einmal zusammen gedacht werden konnten: Polen und Deutsche, Feminismus und politische Öffentlichkeit, PolitikerInnen und Nichteregierungsorganisationen. Und wenn man dabei noch bedenkt, dass Sławomira Walczewska eine begeisterte Sammlerin von deutschen und polnischen Kräuterbüchern und Meisterin in der Herstellung von Likören ist, kann man nicht aus dem Staunen kommen, wie stark sich unsere Kultur verändert hat: in dieser Welt erwartet sie internationale Anerkennung in Form einer Auszeichnung und nicht die Verbannung in die Hexenküche oder die Verbrennung auf einem Scheiterhaufen. Solche Wunder werden wahr, und für Frauen erst recht, wenn es solche gibt, die gegen den Strom denken und handeln.

Wenn man Slawomira Walczewska privat kennt, erfährt man von Zeit zu Zeit, dass sie an dieses Wunder selbst nicht glaubt. Vielleicht deswegen riskiert sie manchmal sogar Autofahrten gegen den Strom mit ihrem zwanzig Jahre alten Landwagen und nimmt alle Hürden auf den Landwegen, um sich dieser Realität zu vergewissern. Ich kenne sie als eine sehr bescheidene Person, die kein Lob, nicht einmal die Süße eines Nachtisches ertragen kann. Um dieses zu überwinden, benutzt sie gern Kardamon und Pfeffer, sogar für Erdbeeren. Es sind keine Belanglosigkeiten, die ich hier erwähne, sondern vielmehr Details, die von ihrer radikalen Aufmüpfigkeit auch im Alltag zeugen. Und es ist nicht bloß Unzufriedenheit, sondern Mut diese Unzufriedenheit in Worte zu fassen und auf Umstände so lange einzuwirken, bis sie sich zugunsten von Frauen ändern

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